Sendereihe: "Macht und Menschenrechte" ( Unser Politikblog TV) November - dann in anderem Format

Sonntag, 14. März 2010

Nein zu einem Europäischen Währungsfonds nach IWF-Vorbild !

Griechenland braucht eher Steuererhöhungen und die Stärkung seiner Finanzverwaltung
(Artikel von Sarah Luzia Hassel-Reusing 15.03.2010)

Anfang März 2010 hat die Denkfabrik Centre for European Policy Studies (CEPS) die Gründung eines Europäischen Währungsfonds (EWF) vorgeschlagen. Dieser sollte mögliche Insolvenzen der Euro-Mitgliedsländer geordnet abwickeln, sodass die Finanzmärkte nicht zusammenbrechen. Es ist angedacht, dass der EWF die Staatsschulden mit einem Abschlag von 60% bis 70% aufkauft und dann als Hauptgläubiger die Macht hat, die Bedingungen für das Insolvenzverfahren des jeweiligen Mitgliedsstaats festzulegen. CEPS sieht den EWF als Alternative zum IWF. Zur Finanzierung des EWF wurde vorgeschlagen, dass diese durch die Euro-Mitgliedsstaaten erfolgen sollte entsprechend
dem Maß, wie sie die Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrags verletzen.
Die Debatte um den EWF wurde dadurch beschleunigt, dass Griechenlands Regierung öffentlich überlegt hatte, Kredite beim IWF aufzunehmen, was Ängste ausgelöst hat um das Ansehen der Euro-Zone. Die EU-Kommission will laut Berichten der taz und der Epoch Times bis Ende Juni konkrete Vorschläge für einen EWF machen. Die Regierungen Frankreichs, Italiens und Deutsch- lands haben den Vorstoss für einen EWF begrüßt, die Linkspartei und die Grünen im Bundestag nur unter dem Vorbehalt, dass man sich nicht den IWF zum Vorbild nehmen dürfe. Später ist ein Teil der deutschen Bundesregierung wieder zurückgerudert und will den EWF nun doch nicht als Kon- kurrenz zum IWF bzw. statt eines EWF ein Gremium unter den Finanzministern der Mitgliedsstaa- ten im Ministerrat. Die deutsche Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel will nun laut der taz vom 11. 03.2010 keinen EWF als Konkurrenz zum IWF und sieht ersteren eher als langfristige Perspektive; Meldungen über konkrete Pläne für eine EWF-Gründung sollten demnach auf einer mißverständli-chen Interpretation beruht haben. Laut der taz vom 10.03.2010 hatte sie zuvor den Vorschlag für die Gründung eines EWF als gut und interessant bezeichnet, aber betont, dass die Fragen der Beiträge und nach dessen Unabhängigkeit von der EU-Kommission noch zu klären seien. In einigen Reaktio-nen aus Politik und Wirtschaft in Deutschland, darunter auch vom heutigen Bundesfinanzminister und ehemaligen Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble, wurden für einen EWF vergleichbare Durchgriffsrechte wie für den IWF gefordert sowie die Möglichkeit, das Stimmrecht von Staaten in-nerhalb der Gremien der Eurozone auszusetzen, und Staaten in letzter Konsequenz aus der gemein-samen Euro-Währung auszuschließen.

Ein Europäischer Währungsfonds wäre m. E. nicht unter allen Umständen abzulehnen, in der gegen-wärtigen Situation aber eine große Gefahr. Chancen zur Verbesserung der Menschenrechtslage durch einen EWF würde ich dann sehen, wenn dieser jegliche Zuständigkeit des IWF für die Länder
der Eurozone beenden und bei seinen Entschuldungsauflagen sämtliche für das jeweilige Schuldner-land geltenden verfassungsmäßigen Vorschriften, insbesondere die Grundrechte und Strukturprin-zipien, sowie die für das jeweilige Land gültigen internationalen Menschenrechte von Uno, Europa-rat und EU und deren jeweilige Rangansprüche berücksichtigen würde, zumindest aber hinnehmen würde, dass die Mitgliedsstaaten die Auflagen des EWF nur insoweit befolgen, wie dies mit den bei ihnen geltenden verfassungsmäßigen und menschenrechtlichen Vorschriften vereinbar ist. Dafür müssten die Auflagen, welche der EWF setzen kann, natürlich, wie beim Völkerrecht nach Art. 27 Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) üblich, über dem Gesetz stehen, aber klar unterhalb aller menschenrechtlichen Vorschriften. Das Recht der Gläubiger, ihr Geld zurückzubekommen, gehört zum Menschenrecht auf Eigentum, ist gleichrangig mit den anderen Menschenrechten. Ein absoluter Vorrang der Schuldentilgung auf Kosten der Verwirklichung der sozialen Menschenrechte der Bewohner des Schuldnerlandes ist, menschenrechtlich gesehen, ebenso inakzeptabel, wie eine vollständige Verweigerung gegenüber dem Eigentumsrecht der Gläubiger es wäre. Von der Vision eines solch menschenrechtsgerechten EWF ist in der aktuellen Debatte aber wenig wahrzunehmen. . Es ist vielmehr zu befürchten, dass man den EWF nach dem Vorbild des IWF kontruieren will, weshalb ich derzeit nur dringend der Schaffung eines EWF abraten kann.

Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) sollte einst Länder mit akuten Zahlungsbilanzdezi- ten Notfallkredite unter Auflagen gewähren. Doch spätestens seit dem sog. “Washington-Konsens” Anfang der 1980er konzentrierten sich die IWF-Auflagen darauf, die Schuldnerländer zu größt- und billigstmöglichen Ausverkauf ihres Staatseigentums bis zur Entstaatlichung, der Arbeitskraft ihrer Einwohner sowie der Boden- und Naturschätze zu zwingen.
Kreditauflagen des IWF führten in den 1980er Jahren laut dem Buch “Zum Beispiel IWF & Welt- bank” (Uwe Hoering, Lamuv-Verlag) zu Hungerunruhen in Bolivien, Venezuela, Sambia und Jor-danien. Während der Hungerkrise 2003 im Niger hat der IWF die kostenlose Verteilung von Nah- rungsmittelreserven an Hungernde untersagt aus Angst vor “Wettbewerbsverzerrungen” (siehe das berühmte Interview von Germanwatch mit dem ehemaligen Uno-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung Prof. Dr. Jean Ziegler). Laut Prof. Dr. Zieglers Bericht vom 07.02. 2001 (Az. E/CN.4/2001/53) sind die Strukturanpassungsprogramme, welche der IWF in seinen Kre-ditauflagen verordnet, das zweitgrößte Hindernis weltweit zur Verwirklichung des Menschenrechts auf Nahrung.
Von mehreren afrikanischen Ländern, darunter von Simbabwe, hat der IWF die Aufgabe von 10% ihres Waldes verlangt. Argentinien hat der IWF zur Privatisierung der Zollbehörden gezwungen.

An die Türkei, eines seiner größten Schuldnerländer, stellte der IWF mit Demokratie und Rechts-staatlichkeit völlig unvereinbare Forderungen. So verlangte er 2003 die Privatisierung der türki-schen Notenbank, 2009 die Privatisierung des türkischen Bundesamtes für Finanzen. Sambia konnte
sich des IWFs weniger erwehren und privatisierte tatsächlich seine Notenbank. Welch ein Magnet für Interessenkonflikte und für die Aushebelung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit die Priva-tisierung einer Notenbank sein kann, zeigt auch die Geschichte der US-Notenbank Federal Reserve, deren Unparteilichkeit schon oft aus unterschiedlichsten Richtungen angezweifelt wurde.

Am 11.09.2006 verlangte der IWF in Tz. 5 seiner damaligen Forderungen von Deutschland eine deutliche Verschärfung des Arbeitslosengeldes II („Hartz IV“) für Langzeitarbeitslose bei unzurei-chenden Arbeitsbemühungen – die damalige IWF-Forderung wurde von Deutschland übererfüllt.
In Rn. 14 forderte der IWF am 11.09.2006 außerdem Rentenkürzungen, in Rn. 15 Einschnitte im Gesundheitswesen, damit der Gesundheitsfonds für die Kopfpauschale nicht zu teuer würde. Der IWF forderte schon damals die Kopfpauschale. Diese würde zu eine Entkoppelung der Beiträge in der Gesetzlichen Krankenversicherung vom Arbeitseinkommen bedeuten. Das ist eine Annäherung der staatlichen Krankenversicherung an das System der privaten Krankenversicherungen, vermut-lich als eine Vorstufe zur Privatisierung. Am 08.02.2010 forderte er von Deutschland u. a. eine Lockerung des Kündigungsschutzes im Dienstleistungssektor und im produzierenden Gewerbe, eine Reduzierung der Landwirtschaftssubventionen, die Erhöhung des Rentenalters und Rentenkürzun-gen; für die Reduzierung der Kosten im Gesundheitswesen stellte machte er ausnahmsweise eine sozialverträgliche Forderung nach Deckelung der Kosten für neue Medikamente auf (Rn. 7+16).

Nach all dem ist der Internationale Währungsfonds mit seiner kulturdarwinistischen Weltsicht das weltweit denkbar ungeeignetste Vorbild, welches ein Europäischer Währungsfonds haben könnte.
Abgesehen von seiner einem unsozialen, veralteten Menschenbild geschuldeten Geringachtung alles Sozialen ist aber auch die finanzpolitische Redlichkeit des IWF von glaubwürdigen Persönlichkei- ten in Frage gestellt worden. So wurde ihm von Davison Budhoo vorgeworfen, das bis dahin pros- perierende Trinidad und Tobago mit falschen Statistiken unter Druck gesetzt zu haben; auch die Debatten aus dem Umfeld von IWF und Weltbank, ob es zur Durchsetzung gewünschter Reformen sinnvoll sein könnte, künstlich Wirtschaftskreisen auszulösen, lassen es fraglich scheinen, wieviel Finanz- und Wirtschaftskompetenz der IWF überhaupt besitzt, und ob er nicht eher zu einem brutalen Instrument zur Umgehung geltenden Verfassungs- und Menschenrechts geworden ist
(siehe zu diesen Beispielen S. 355 ff. und 361 ff. des Buchs “Die Schockstrategie” von Naomi Klein, S. Fischer-Verlag).

Auch die Vorstellung der Denkfabrik CEPS zur Finanzierung des EWF sind inakzeptabel, weil gleichheitswidrig und sozial. CEPS will tatsächlichen, dass die, die am wenigsten haben in der Eurozone, ihre letzten Cents zusammenkratzen, um Beiträge in den EWF einzuzahlen, woraus die- ser Kredite schnürt, die er den gleichen Ländern für Zinsen und Auflagen gibt. Ohne einen EWF haben die ärmeren Euroländer die Probleme mit der Finanzkrise. Mit einem EWF nach dem CEPS-Modell würden sie obendrein mit Beiträgen, Zinsen und Auflagen belastet, sodass das gleiche Geld fehlen würde, um es den ursprünglichen Gläubigern der Länder zurückzuzahlen.

Der EWF scheint eher als Instrument für die privaten Gläubiger und als Motor zum totalen Ausver- kauf der Mitgliedsstaaten in Richtung Konzernaristokratie gedacht zu sein.
Und was ist eigentlich so schlimm am Zusammenbruch von Finanzmärkten? Der Zusammenbruch verfassungsmäßiger Ordnungen durch einen totalen Ausverkauf des Staates ist doch weitaus be- drohlicher.

Was Griechenland wirklich hilft, ist eine massive Unterstützung der anderen Mitgliedsstaaten zur Verbesserung seiner Finanzverwaltung, insbesondere der Betriebsprüfung. Laut einem Artikel der le Monde Diplomatique gibt es in Griechenland vor allem bei den Steuererklärungen von Selbständi- gen erhebliche Vollzugsdefizite. Deutschland, das schon einigen Staaten bei der Professionalisie- rung ihrer Finanzverwaltung geholfen hat, könnte ein Vorbild für Griechenland werden. Außerdem braucht es Steuererhöhungen für Griechenland.

V.i.S.d.P:
Sarah Luzia Hassel-Reusing, Thorner Str. 7, 42283 Wuppertal, 0202/2502621

Links, Quellen:
Unser Politikblog zu einem Verfassungsgerichtsurteil aus Lettland zum Vorrang von Grundrechten und Strukturprinzipien vor dem IWF-Recht sowie zu den IWF-Forderungen
http://unser-politikblog.blogspot.com/2009/12/bahnbrechendes-urteil-aus-lettland.html

Lissabon-Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 30.06.2009
www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/es20090630_2bve000208.html

IWF-Forderungen an Deutschland in 2006 und 2010
www.imf.org/external/np/ms/2006/091106.htm
www.imf.org/external/np/ms/2010/020810.htm

taz zu IWF-Forderungen 2009 an die Türkei
www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=a2&dig=2009%2F10%2F07%2Fa0049&cHash=c6ee3d8560

Prof. Dr. Ziegler's Bericht vom 07.02.2001
www.righttofood.org/new/PDF/ECN4200153.pdf

das berühmte Germanwatch-Interview mit Prof. Dr. Ziegler
www.germanwatch.org/zeitung/2005-4-ziegler.htm

geteiltes Echo in Bundestag und Banken auf Vorschlag für EWF
www.epochtimes.de/articles/2010/03/08/554092.html

EurActiv über CEPS-Vorstoss für einen EWF
www.euractiv.de/finanzplatz-europa/artikel/europaischer-wahrungsfonds-als-alternative-zum-iwf-002809

französischer Premierminister Francois Fillion sieht keine Alternative zum EWF
www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2010/03/2010-03-10-merkel-fillon.html

taz-Artikel zum Vorstoß für eine EWF-Gründung
http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=wu&dig=2010%2F03%2F13%2Fa0170&cHash=8eeb03f0ac

http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=wu&dig=2010%2F03%2F11%2Fa0163&cHash=d66d2e3dd0

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=sw&dig=2010%2F03%2F10%2Fa0090&cHash=320171c282

http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=wu&dig=2010%2F03%2F09%2Fa0121&cHash=32a7466e3e

http://www.taz.de/1/zukunft/wirtschaft/artikel/1/insolvenzordnung-fuer-maastricht-vertrag/

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